Wenn man an isländische Kleidungsstücke denkt, ploppt sofort der Islandpullover im Kopf auf. Diese dicken, muckeligen Pullis mit auffälligem Muster an der Brust und am Hals. Hier möchte ich dich auf eine Reise ins Lopapeysa-Universum mitnehmen und dir einiges über das isländische It-Piece erzählen.
Wie ist der Islandpulli entstanden?
Ich sag mal so: es ist ziemlich naheliegend, dass Stricken in einem Land wie Island, wo es mehr Schafe als Menschen gibt, schon immer ein guter Zeitvertreib war. Das Strickhandwerk geht sogar bis ins 16. Jahrhundert zurück. Auch wenn sich über die Zeit die Garne ein wenig verändert haben, der Islandpullover war schon immer dick, robust und damit ideal an die isländischen Wetter- und Naturverhältnisse angepasst.
So wie wir den Lopapeysa heute kennen, ist er erst in den frühen 1900er Jahren entstanden. In dieser Zeit fingen die Frauen nämlich damit an, mit der Lopi-Wolle, wie wir sie heute auch noch kennen und stricken, zu experimentieren. Im Vergleich zu den alten Wollarten ist die „neue“ Lopi ungesponnen und damit viel leichter als die alten fest gesponnenen Garne aus dem 16. Jahrhundert. Für die neue Wolle wurden übrigens die zwei Fellarten des Islandschafs zusammengeführt und geben dem Islandpulli auch seine besonderen Eigenschaften. Þel heißt das wärmende Unterfell des Schafs, das dafür sorgt, dass wir in unseren Islandpullis nicht frieren. Tog ist die wasserresistente und isolierende Oberwolle, sie sorgt dafür, dass wir unsere Pullis in allen Wettern tragen können.
Die besten Eigenschaften des Islandpullis kann man unter atmungsaktiv, leicht und vor allem angenehm wärmend zusammenfassen. Und genau diese Eigenschaften machen ihn universell einsetzbar: einerseits ist er wasserabweisend (natürlich nicht bei Starkregen), andererseits wärmt er immer genau richtig und das selbst dann noch, wenn er feucht ist. Islandpullover sind extrem langlebig, absorbieren Schweiß, reinigen sich zu einem gewissen Grad selbst und sind leicht zu waschen. Kleine Knötchen können einfach abgeschnitten oder ausgekämmt werden. So sehen sie auch nach Jahren noch aus wie neu.
Ich persönlich trage meine Islandpullis gerne beim Wandern weil sie nicht zu warm und nicht zu kalt sind und den Wind abhalten. Außerdem nehmen sie ja eher schwer Gerüche an, das hat seinen Vorteil wenn man länger als einen Tag unterwegs ist.
Der erste moderne Lopapeysa
In einem Handarbeitsmagazin von 1923 findet sich der erste Nachweis über das Stricken mit der neuen Wolle. Dazu muss man sagen, dass es sich hierbei tatsächlich nur um das Stricken überhaupt handelte, die Muster, die den Islandpullover ausmachen, wurden erst viel später entwickelt.
Die Erfinderin der Muster-Passe ist übrigens unbekannt. Man geht davon aus, dass die Entwicklung der Passe über Jahre hinweg gedauert hat, Inspiration gab es von den traditionellen Mustern aus Schweden und den farbigen Rundpassen an Hals und Schultern der Kleidungsstücke aus Grönland. Trotz aller Einflüsse haben die Isländerinnen ihren ganz eigenen Stil entwickelt. Der traditionelle Islandpullover grenzt sich nämlich durch seine Wolle und Strickart von den anderen nordischen Pullovern deutlich ab.
Ursprünglich wurden die Pullover übrigens ausschließlich in den natürlichen Farben des Islandschafs gestrickt. Dazu zählen weiß, grau, hell- und dunkelbraun, sowie schwarz. Diese Farben zählen auch heute noch als die „authentischen“ Farben vom Islandpullover. Inzwischen gibt es die Wolle in so vielen großartigen Färbungen, dass man auch richtig farbenfrohe Modelle stricken kann.
Wie werden Islandpullover gestrickt?
Klassische Islandpullover werden in einem Stück gestrickt. Meist von unten nach oben, es gibt auch Modelle, die von oben nach unten gestrickt werden. Durch diese Art zu stricken haben sie keine Nähte.
Ganz kurz gesagt: man strickt zunächst die Ärmel des Islandpullis und legt sie zur Seite, dann strickt man den Körper hoch bis zu den Achseln. Die Teile werden anschließend zusammengeführt und in der Rundpasse mit Muster weitergestrickt.
Hier findest du meine kurze Anleitung zum Islandpulli stricken.
Klassische und moderne Muster
Das typische Muster zeigt sich insbesondere in der Rundpasse an Brust, Schultern und Hals, aber auch an den Säumen an der Hüfte und den Ärmeln.
Die klassischen Muster sind meist an die isländische Natur angelehnt. So findet man häufig Eiskristalle oder die isländische Rose. Inzwischen erfreuen sich die Isländer aber auch an modernen Mustern, wie Islandpferde, Papageientaucher oder einfach die Klassiker wie Riddari in bunten Farben.
Mit welcher Wolle wird gestrickt?
Es gibt verschiedene Wollsorten der Islandwolle. Die beliebtesten und meist-gestrickten sind Lettlopi und die dickere Álafosslopi. Das sind auch die beiden, die in Pullovern verstrickt werden. Für erfahrenere Stricker*innen gibt es außerdem Plötulopi, ungesponnene Islandwolle, die auf Platten aufgewickelt ist und in der Stärke selbst zusammengestellt werden kann (man kann mit einem, zwei, drei oder noch mehr Fäden stricken). Darüberhinaus gibt es noch das ganz dünne Einband Garn, das sich super für dünne Stricksachen oder als Beifaden zur Plötulopi eignet. Wer Socken aus Islandwolle stricken möchte, greift auf Hausband zurück, das ist die isländische Sockenwolle.
Der Unterschied zum Norwegerpulli
Ein anderer bekannter Vertreter der Muster-an-der-Brust Strickpullover aus den Norden sind Norwegerpullover. Im Gegensatz zum Isländer strickt man diese nicht in einem Stück, die Arme werden angesetzt. Außerdem sind ihre Muster meist viel feiner, weshalb die Pullis aus Norwegen auch aus dünnerer Wolle gestrickt werden. Ihre Muster unterscheiden sich aber auch in den Symbolen, typisch ist die Selburose, ein achtzackiger Stern. Rentiere und figürliche Darstellungen findet man auf Norwegerpullis oft. Ursprünglich waren die Muster zweifarbig, inzwischen gibt es viele Modelle auch in 3 Farben, aber bloß nicht mehr!
Norwegerpullover gibt es übrigens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, vielleicht haben die sich ja sogar an den Isländischen Modellen orientiert und ihnen den norwegischen Touch verliehen.
Die Symbolik des Islandpullovers
Man sagt, immer wenn es Island schlecht gehe, feiert der Lopapeysa eine Renaissance. Das liegt daran, dass man ihn seit jeher als Symbolbild der isländischen Identität sieht. In Krisenzeiten besinnt sich die isländische Bevölkerung auf ihre Wurzeln und damit werden auch die Pullis wieder aus dem Schrank geholt. Das war übrigens so nach der Unabhängigkeitserklärung Islands im 2. Weltkrieg oder nach der Bankenkrise 2008.
Aber der Lopapeysa wird nicht nur in schlechten Zeiten getragen, inzwischen sieht man in Island überall. Man trägt ihn zur Arbeit im Büro genauso wie auf dem Fischkutter oder bei der Arbeit mit den Pferden und Schafen. Im Winter zieht man einfach noch ein Sweatshirt drunter oder eine Jacke drüber.
Gerade da, wo viele Isländer*innen zusammenkommen, kann man den Pullover in allen Formen und Farben betrachten. Zum Beispiel auf isländischen Festivals wie dem Secret Solstice zur Mitternachtssonne oder zum Réttir, dem Viehabtrieb im Herbst.
Islandpullover sind auch über die Grenzen Islands hinaus sehr beliebt. War er in den 70ern noch DAS Kleidungsstück der Ökobewegung, findet man von ihm inspirierte Kleidungsstücke inzwischen sogar bei bekannten Fast-Fashion Ketten.
Weitere Formen des Islandpullis
Lange Zeit gab es den Lopapeysa tatsächlich nur als Pullover. Zum Glück kommt er heute auch in anderen Formen daher. Es gibt ihn als Kapuzenpulli, Pullunder, als Strickjacke und sogar als Kleid. Die Muster werden oft für Handschuhe und Mützen genutzt. Es gibt Pferdedecken, Hundemäntel und was ich komplett schräg finde: Weihnachtsbaumständer-Decken. Man sieht: der Islandpulli ist sehr vielfältig einsetzbar.
Alle lieben den Islandpulli
Heute erfreut sich das Stricken wieder großer Beliebtheit. Vor allem jüngere Isländerinnen und Isländer (Stricken ist in Island nicht nur ein Frauen-Hobby) greifen immer öfter zu den Nadeln. Statt daheim allein zu stricken, trifft man sich häufig in Strickclubs und -Gruppen um gemeinsam zu stricken, zu plauschen und sich gegenseitig zu helfen. Stricken ist meditativ, gesellig und perfekt für lange dunkle Abende, die man nicht mit Netflix verbringen möchte. Und gerade in Zeiten der Klimakatastrophe ist Stricken für viele Isländerinnen und Isländer ein nachhaltiger Weg, ein besseres und gesünderes Verhältnis zu den eigenen Kleidungsstücken zu gewinnen.
Aber nicht nur die Einheimischen finden ihre Lopapeysa toll: Er ist auch ein gern gekauftes Souvenir bei den vielen Touristen des Landes weil man ihn durch seine Wolle und Muster so stark mit Island verbindet.
Aber Obacht! Durch die hohe Nachfrage haben einige Hersteller ihre Produktion nach Asien verlagert. Nicht besonders nachhaltig und auch nicht handgestrickt.
Wenn du einen echten Islandpulli kaufen möchtest, habe ich ein paar Adressen in Deutschland und Island für dich zusammengestellt: Wo kaufe ich am besten einen Islandpulli?